Digitalisierung transformiert unsere Arbeitswelt

„Der Mensch bleibt der verbindende Faktor“

Digitalisierung und Arbeitswelt

Die Wirtschaft und die Arbeitswelt sind in einem umfassenden Umbruch. Der Schlüssel zu den umfassenden Transformationen ist die zunehmende Digitalisierung. Sie hilft, die Herausforderungen zu bewältigen und eröffnet neue Chancen.

Die Digitalisierung verändert die Arbeitsmittel, mit denen wir arbeiten. Sie sorgt für ein Verschwinden analoger Informationsaufbereitung und -bearbeitung: Papierdokumente werden durch digitale Informations- und Bearbeitungsketten ersetzt. Überall da, wo Informationen und Wissen verarbeitet und erzeugt werden, bietet sich ein natürliches Potenzial der Digitalisierung. Gepaart mit Vernetzung und der Weiterentwicklung und Miniaturisierung von Endgeräten geht damit auch eine Mobilisierung von Arbeitsgeräten und -orten einher. Mit den Arbeitsmitteln verändern sich auch die Tätigkeiten der Beschäftigten in der Interaktion mit diesen: immer intelligentere Softwarekomponenten erlauben eine immer weitergehende Übergabe auch komplexer Prüf- und Suchtätigkeiten oder schlussfolgernder oder prozessteuernder Tätigkeiten auf die IT-Unterstützung. Inwieweit damit menschliche Arbeitsinhalte wegfallen und letztlich auch zu Substitutionen führen, kann nur sehr fallspezifisch beantwortet werden. Die Entwicklungen beispielsweise bei den Finanzdienstleistungen zeigen, wie die Kombination aus „Kundenarbeit“ an Terminals und qua Online-Banking in Kombination mit intelligenteren Algorithmen bisherige Tätigkeiten von Bankfachpersonal überflüssig machen können.

Doch Digitalisierung ist nicht nur eine zunehmende Automatisierung. Sie verändert auch die Art, wie wir arbeiten. „Die digitale Transformation bringt für die Beschäftigten auch eine umfassende Flexibilisierung ihrer Arbeitszeit und ihrer Arbeitsweise mit sich“, erläutert Erwin de Man, Managing Director bei der Unternehmensberatung Protiviti. „Die Digitalisierung beschleunigt viele Prozesse. Dabei geht es vor allem um Themen wie Homeoffice und Remote Work. Aber es geht auch um Themen wie flexible Arbeitszeiten, wie abwechslungsreich ist mein Job, wie vielfältig ist die Ausführung der einzelnen Tätigkeiten.“

Auch wenn diese Veränderungen alle Beschäftigten gleichermaßen beträfen, sei vor allem bei jüngeren Arbeitnehmer*innen erkennbar, dass die sich aus der Digitalisierung ergebenden Arbeitsbedingungen mittlerweile ein fester Bestandteil des Anforderungsprofils jüngerer Beschäftigter an ihre Arbeitgeber und an die auszuübenden Tätigkeiten seien. „Die Flexibilität wird auch nicht wieder verschwinden. Sie ist da und wird künftig immer stärker von den Mitarbeiter*innen eingefordert werden“, sagt Erwin de Man.

Plattformen als Lösung

Technisch werden sich Plattformlösungen durchsetzen, von denen aus die Arbeit organisiert werden kann. Erwin de Man: „Man könnte hier von einem ‚Amazon Standard‘ sprechen. Sie können auf einer einzigen Plattform sehr viel organisieren. Beim Beispiel Amazon sind alle Prozesse sehr integriert und automatisiert. Dort kann man mittlerweile digitalisiert bestimmte Themen vollständig regeln. Und diese Erwartungshaltung nehmen jüngere Menschen auch mit in die Arbeitswelt.“ Viele Unternehmen seien schon auf dem Weg, solche Plattform-Standards zu entwickeln und einzusetzen.

Die digitale Transformation bringt eine umfassende Flexibilisierung der Arbeitszeit und Arbeitsweise mit sich.

Außerdem bringen Beschäftigte heute ganz andere Erwartungen an die Unternehmenskultur mit: „So, wie der Kunde im Geschäftsprozess für die Unternehmen im Mittelpunkt vor allem bei der Entwicklung, beim Verkauf und bei der Markenbildung steht, so stehen mittlerweile die Mitarbeitenden im Mittelpunkt der Unternehmenskultur“, sagt Erwin de Man. „Das war früher anders. Unternehmen hatten sehr ausgeprägte Hierarchien. Mittlerweile dreht sich alles um die Mitarbeiter*in, um ihr Wohlbefinden, um die Benefits, die neben dem normalen Gehalt geboten werden. Es geht um ein dynamisches Arbeitsumfeld, um elterngerechte Arbeitsmodelle. Das alles fokussiert sehr stark auf den Mitarbeiter und die Mitarbeiterin.“

Die Digitalisierung führt aber auch zu einer höheren Verdichtung der Arbeit und damit zu einer viel stärkeren zeitlichen Beanspruchung. „Es braucht also auch eine gewisse mentale Gesundheit. Durch die Digitalisierung ist man über viele Kanäle und ständig erreichbar - auch nach der Arbeitszeit. Man hat eine höhere Geschwindigkeit im Arbeitsleben. Da muss man Wege finden - seien es technologische Wege oder persönliche Wege, um Work-Life wirklich gut zu trennen“. Bislang liege es vor allem an den Mitarbeiter*innen eines Unternehmens, sich in diesem Bereich selbst zu organisieren. „Unternehmen werden da sicherlich in Zukunft mehr Maßnahmen treffen müssen, um ihren Beschäftigten ausgeglichenere Arbeitsformen zu bieten“, so de Man weiter.

Silo-Denken als Hindernis

Vielen Unternehmen seien die Notwendigkeiten zur Digitalisierung wie auch zur Veränderung der Unternehmenskultur bewusst. In der Umsetzung hake es aber oft. Erwin de Man sieht ein Problem darin, dass in vielen Unternehmen noch eine Art Silo-Denken ausgeprägt sei. Veränderungen nur in diesen kleinen Silos zu erreichen, sei sehr schwer. Entsprechend fehle es Unternehmen oft an Ideen, wie Veränderungen umsetzbar seien.

Bei Amazon wird der Kunde immer auch physisch mitgedacht. In jeder Besprechung gibt es einen Stuhl, auf dem ein Kissen mit der Aufschrift „Kunde/Kundin“ liegt. Ein solches Modell, um die Mitarbeitenden in den Fokus eines Unternehmens zu stellen, hält Erwin de Man für sehr sinnvoll. Bei der Unternehmensberatung Protiviti beispielsweise wird mit jedem neuen Beschäftigten ein Baum gepflanzt und jede Mitarbeiter*in erhält ein Willkommenspaket. „Solche Kleinigkeit verändern die Unternehmenskultur und haben Auswirkungen auf das ganze Unternehmen“, sagt de Man.

Und auch am anderen Ende der Personalbetreuung kann die Digitalisierung helfen: Durch die demografische Entwicklung gehen in den kommenden Jahren vermehrt hochqualifizierte Fachkräfte in den Ruhestand. Mit ihnen verlässt ein hohes Maß an Wissen und Erfahrung die Unternehmen. Um diesem Braindrain vorzubeugen, könnte vor allem die neue Entwicklungsstufe der Künstlichen Intelligenz entgegenwirken. Aber: „Um das wirklich sinnvoll zu kompensieren, müsste die KI-Entwicklung mit dem Braindrain Schritt halten. Zurzeit allerdings sieht man, dass sich der Braindrain etwas schneller vollzieht.“

KI als Mittel gegen den Braindrain

Für Erwin de Man werden die kommenden fünf Jahre entscheidend sein. Wenn die rasante Entwicklung generativer KI-Systeme so fortschreitet und schließlich auch sehr spezifisches Wissen verfügbar sein wird, dann kann Digitalisierung ein sehr gutes Mittel sein, um den allseits beklagten Fachkräftemangel zumindest qualitativ gut aufzufangen. Auch hier müssten aber Unternehmen mutige Entscheidungen treffen, um im guten Zusammenspiel aus Digitalisierung und einem modernen Mitarbeiter*innen-Management gute Lösungen zu finden.

„Und bei aller Konzentration auf die Digitalisierung und die damit verbundenen Technologien darf man nicht vergessen, dass es immer der Mensch ist, der der verbindende Faktor für Unternehmen, Geschäftsidee, Produkt, Dienstleistung und Kunden ist“, resümiert Erwin de Man.

Mittlerweile stehen die Mitarbeitenden im Mittelpunkt der Unternehmenskultur.
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